Jetzt wieder zuruck zu jener Zeit:
Ich wurde gesund, erholte mich schnell, konnte das Lazarett verlassen. Der Oberleutnant, bei dem ich war, befreite mich und gab mir einen Ausweis, in dem geschrieben stand: "Der Volksdeutsche Johann Haag ist aus dem Kriegsgefangenenlager befreit. Die deutschen Behorden werden gebeten, ihm Hilfe zu leisten." Mit diesem Ausweis konnte ich hin, wo ich wollte. Jetzt stand die. Frage an, was machen?
Ich war schon bekannt mit Ninas Eltern und Geschwistern. Nina war mir sehr angenehm, aber unsere Beziehung war bis jetzt nur offiziell. Ich wu?te: Nicht weit weg hatte ich Vater, Mutter, Schwester und zwei Bruder, die ich schon lange nicht sah - auch Sonja war dort.
So entschlo? ich mich, nach Hause zu fahren. Dort angekommen fand ich keine einzige deutsche Seele. Alle waren unlangst verschleppt worden. In unseren Hausern waren fremde Leute. Das waren Fluchtlinge. Die fanden in unseren Dorfern Wohnung, Vorrate, Vieh, alles was man zum Leben braucht. Ich fragte: "Wo sind die Hauswirte?" Die Antwort war: "Das waren Deutsche - die hat man vertrieben." Dort bleiben konnte ich nicht, also fuhr ich zuruck nach Poltawa. Ich spurte, da? ich mich freute, Nina wiederzusehen.
In Poltawa angekommen ging ich gleich in Richtung zu ihr. Wie es kam, kann ich nicht erklaren, aber Nina kam mir entgegen. Wir trafen uns mitten auf der Stra?e und umarmten uns. Unsere Beruhrungen wurden immer herzlicher. Ich spurte, da? ich sie liebe, und von ihrer Seite war dasselbe zu spuren.
Ich fand gleich Arbeit, wurde Dolmetscher und Sekretar bei der Gebietsverwaltung M.T.S. i Maschinen-Traktoren-Station), die von den Deutschen als LBGU (Landbewirtschafts-Gesellschaft-Ukraine) genannt wurde.
Jeden Tag traf ich mich mit Nina, manchmal den ganzen Tag. Wir waren beide jung, ich 24, sie 21 Jahre alt, und am 23. Mai 1942 gingen wir ins Standesamt und registrierten unsere Ehe. Rund um uns tobte der Krieg, ofter Bombenangriffe, aber wir beide waren glucklich.
Ofter denke ich an diese Zeit. Konnte sich Nina damals vorstellen, da? sie viel, sehr viel, leiden wurde, weil ich, ihr Mann, ein Deutscher war? Ihr Schicksal hat sie ofter sehr schwer auf ihre Treue gepruft. So widerstand sie den Forderungen ihrer Eltern und fuhr mit mir und unserer kleinen Tochter aus Poltawa ins Ungewisse, als sich die Front Poltawa naherte. In Deutschland wurde sie dann von den russischen Behorden beschimpft, erniedrigt und zwangsweise nach Poltawa zuruckgebracht. Auch nach meiner Verhaftung in Poltawa wurde sie von der Arbeit entlassen, weil ihr Mann ein 'Verrater' war. Sie litt Hunger mit ihren Kindern. Ihre eigenen Eltern, auch Geschwister und Freunde rieten ihr, sie solle sich von ihrem deutschen Mann scheiden lassen. Sie hielt stand. Bei der ersten Moglichkeit verlie? sie Eltern und Geschwister und kam zu mir ans 'Ende der Welt' (so nannte man das Gebiet Magadan), wo im Winter die Sonne kaum aufgeht und der Kaltepol der Erde ist. Und das ist nicht alles: Noch im hohen Alter verlie? sie ihre Heimatstadt, in der ihre Eltern begraben sind, in der ihre Schwester und Bruder sind, und fahrt wieder mit mir nach Deutschland. So etwas halt nur eine Frau unter vielen Tausenden aus, und das war Eure Mutter und Grosmutter Nina.
So dauerte damals unser Gluck nicht lange. Die Deutschen zogen sich allmahlich zuruck. Die Front naherte sich auch Poltawa. Wieder stand fur mich die Frage an: 'Was tun?' Ich war jetzt nicht mehr allein, war verheiratet und wir hatten eine 8 Monate alte Tochter, Irine. Fur mich war klar, ich konnte nicht in Poltawa bleiben. Viele Leute wu?ten, da? ich ein Deutscher war, sahen mich ofter mit deutschen Soldaten. Das genugte fur die KGB (Kommitee fur Staatssicherheit) um mich zu vernichten. In den Kriegsjahren war das fur die KGB sehr einfach.
Ich besorgte mir rechtzeitig einen LKW, lernte schnell (mit Hilfe eines Chauffeurs) den Wagen zu fahren, und am 23. September 1943, genau nach 2 Jahren, verlie?en wir Poltawa. Nina gab ich freie Wahl. Ich nahme sie gerne mit, sie konne aber auch bei ihren Eltern bleiben. Ihre Eltern bestanden darauf, da? sie zuhause bleiben solle. Nina aber sagte: "Wo mein Mann hingeht, dort gehe ich auch hin." So fuhren wir los, wu?ten uberhaupt nicht wohin. Die Fahrt dauerte fast den ganzen Winter 1943/44. Wir fuhren nicht alleine, wir waren mehrere Fahrzeuge. Ich gehorte immer noch zu der LBGU, von der bekam ich Lohn und Verpflegung.
So kamen wir im Fruhjahr 1944 nach Deutschland in ein sehr schones Stadtchen: Neusalz an der Oder. Allmahlich sahen die Beamten der LBGU, da? sie nicht mehr in die Ukraine zuruckkommen wurden und die Gesellschaft wurde aufgelost. In Neusalz bekamen wir am 13.9.44 unsere zweite Tochter, Lora. Ich bekam Arbeit in einer Auto-Reparaturwerkstatt in Grunberg, 25 km von Neusalz. Die russische Armee kam auch hierher. Wieder ruhren wir, jetzt schon mit der Werkstatt 'Rudolf Wagner' weiter nach Westen, kamen bis nahe bei Berlin. Dort verlie? uns der Besitzer der Werkstatt und verschwand. Wir waren jetzt zwischen den Amerikanern und den Russen. Und wieder uberlegten wir, was machen? Ich und Nina beschlossen zu bleiben, denn die Amerikaner wurden die Russen sowieso den Russen ubergeben.
Anfang Mai 1945, der Krieg ging schon zu Ende kamen wir wieder zu 'Unseren'. Nina mit den Kindern kam in ein Lager, von dem sie spater zuruck nach Poltawa gebracht wurde. Laut Befehl mu?te ich mich bei der russischen Kommandantur melden, wurde gefragt, was ich von Beruf sei. Als Autofuhrer kam ich in ein Autobataillon und erst im Juli 1946 wurde ich entlassen, fuhr nach Poltawa und traf Nina. Aber nicht lange. Kaum hatte ich Arbeit gefunden, wurde ich verhaftet. Ab dieser Zeit begann der allerschwerste Abschnitt in meinem Leben. In keiner Sprache gibt es genugend Worte, um das zu beschreiben, was ich im Gefangnis, bei den nachtlichen Verhoren und dann in den Straflagern leiden mu?te. Manchmal war ich der Verzweiflung nahe.
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