ZUR ERSTE 1 2 3 4 5 6 7 8 MEIN GEBET -5- Im Fruhjahr 1951 war meine Strafzeit zu Ende. Ich wurde aus dem Lager entlassen, war aber unter Kommandantur, d. h. ich mu?te dort leben und arbeiten, wo es mir zugewiesen wurde. Ich kam in das Dorf 'Debin', 450 km von Magadan, am Flu? Kolema. Dort war eine gro?e Autobasis. Das war im Mai 1951. Die Sonne stieg schon hoher. Bei Tag fing es schon an zu tauen. Ich steckte In Filzstiefeln, in Wattenhosen, Wattenjacke und Wattenmutze. Die Nummern auf Knie, Stirn, Rucken hatte ich abgerissen. So fing ich schon als freier Mann an. Ich arbeitete fast Tag und Nacht. Bekam Lohn fur 8 Stunden, die andere Zeit verdiente ich nebenbei. Ich konnte schon Briefe schreiben, fing an, Nina zu helfen (mit Geld). So vergingen fast 2 Jahre. Bei der ersten Gelegenheit kam Nina mit den Kindern freiwillig zu mir nach Magadan. Normalerweise fahrt niemand freiwillig dort hin, meist wurden nur Verurteilte, die es damals genug gab, dorthin gebracht. Wieder gehorchte Nina ihren Eltern, Geschwistern und Freunden nicht. Die machten ihr Angst, dorthin zu fahren. Sieben Tage (auch Nachte) dauerte die Reise von Poltawa bis Nachodka (Hafenstadt am Ochotskischen Meer). Von dort noch 5 Tage mit dem Schiff bis Magadan. Ich wu?te, wann das Schiff ankam und fuhr sie abzuholen. Das Schiff kam langsam in den Hafen, die Passagiere des Schiffs versammelten sich auf dem Deck. Ich erkannte Nina. Als die Leiter zum Schiff gestellt war, sprang ich aufs Schiff. Ich nahm die Jungste, Lora, auf den Arm und fragte: "Kennst Du mich, ich bin Dein Vater." Sie schuttelte den Kopf und sagte: "Ich kenne Dich nicht. Ich hab' keinen Vater". 7 Jahre waren wir getrennt. Die Begegnung damals war etwas 'kalt'. Spater hatte ich viel daruber nachgedacht. Ich war 7 Jahre so gut wie eingesperrt gewesen. Nina aber nicht. Ich hab sie aber nie gefragt, wie sie die 7 Jahre ohne mich verbracht hatte. Allmahlich ging unser Leben auch hier in normale Gleise. Wir arbeiteten beide, verdienten gut. Wir bauten uns sogar ein eigenes Haus. Die Madchen gingen in die Schule. Irine beendete 7 Klassen und mu?te die 8., 9. und 10. Klasse 85 km von uns im Kreiszentrum 'Yagodnoje' lernen. Sie lebte dort im Internat. Nur in den Ferien und in Feiertagen kam sie zu uns 'nach Hause'. Was ich nicht vergessen kann: Auf der Au?enwand des Intematsgebaudes stand gro? die Losung geschrieben: 'Schlagt die Deutschen, wo ihr sie findet'. J. Ehrenburg. Ehrenburg, ein bekannter Schriftsteller - Jude. Dort beendete Irine die 10. Klasse, bekam ihren ersten Pa?. Und was mich sehr argert: Hier in Deutschland beschuldigt man Irine, sie hatte, als sie ihren Ausweis bekam, nicht die deutsche Nationalitat gewahlt, sondern die russische. So eine Beleidigung! Meine Eltern und Geschwister hatte ich zum letzten Mal im Oktober 1939 gesehen. Seit 1941 wu?te ich nichts von ihnen. Alle meine Versuche sie zu finden, waren erfolglos. Wo ich auch anfragte, immer dieselbe Antwort: "Solche sind nicht da." Erst im Mai 1961 bekam ich die Adressen von meiner Mutter und meinem jungsten Bruder, auch vom anderen Bruder. In der Zeit war ich befreundet mit einem jungen Mann von der KGB. Er war in meinem Alter. Ich erzahlte ihm einmal meine Geschichte und er fragte: "Willst Du, ich finde Deine Angehorige?" Ich gab ihm die Namen und von wo sie vertrieben wurden. Es vergingen 10 Tage, dann hatte ich die Adressen. Wir waren drei Bruder und eine Schwester. Keiner von uns wu?te vom anderen. Wollte ich Euch beschreiben, wie das alles geschah, mu?te ich ein gro?es Buch schreiben. Als ich wu?te, wo meine Mutter und Bruder waren, verlie?en wir Kolema und fuhren nach Poltawa. (Damals durfte ich schon wegfahren, die Kommandantur war nicht mehr.) Unterwegs machten wir in Nowosibirsk Halt, dann fuhren wir nach Semipalatinsk, wo unweit meine Mutter mit meinem jungsten Bruder war. Von Semipalatinsk mu?te man noch 35 km zu einem Kasachendorf, wo Mutter war. Ich benachrichtigte meinen Bruder, wann wir in Semipalatinsk sein wurden. Aus seinen Briefen wu?te ich, da? man noch mit dem Schiff aufwarts des Flusses 'Irtisch' fahren mu? bis zur Anhalt 'Uba-Forpost'. So hie? das Kasachendorf. Am Bahnhof angekommen suchte ich ein Taxi, um zum Flu?hafen zu fahren. Das stand schon eines. Ich fragte, ob er wisse, wo das Dorf Uba-Forpost sei. Er sagte: "Ja, ich war schon mal dort, aber das ist weit." Wir vereinbarten den Preis und kurzerhand fuhren wir mit dem Taxi weiter. Unterwegs begegneten wir einem LKW. Spater stellte sich heraus, da? es mein Bruder war, der uns abholen wollte. So kamen wir ganz schnell nach Uba-Forpost. Dort sah ich ein kleines Madchen, wir machten Halt und ich fragte sie: 'Wei?t Du, wo die Haag wohnen?" Sie wu?te und zeigte uns den Weg. Wir bogen nach rechts ab und sie sagte: "Dort wohnen Haag." Ich sah ein kleines Hauschen aus Lehm gemacht, mit kleinen Fenstern und flachem Dach. Wir fuhren hin und hielten. Da kam meine Mutter raus - uns entgegen. Ich sah sie zum ersten Mal nach 22 Jahren. Ich erkannte sie und sie hat gewi? auch mich erkannt. Sie umarmte mich, sagte aber kein Wort. Ich konnte auch nicht sprechen. So standen wir eine Weile stumm, ich horte nur ein leises Schluchzen von ihr. Dann stellte ich ihr Nina, ihre Schwiegertochter vor, auch ihre beiden Enkeltochter Irine und Lora. Als mich meine Mutter vor 22 Jahren zum letzten Mal sah, war ich in ihrer Vorstellung selbst fast noch ein Kind. Jetzt brachte ich ihr zwei fast erwachsene Enkeltochter. In der Zeit kam auch Bruder Lenhart zuruck. Er fand uns nicht, dachte, wir waren mit dem Schiff unterwegs und kam zuruck. Hatte ich ihn irgendwo anders getroffen, hatte ich ihn nicht erkannt. Zum letzten Mal sah ich ihn als er 10 Jahre alt war, jetzt war er Vater von 4 Kindern, alle Madchen (Zwillinge). Auch seine Frau Sina kam von der Arbeit, die Kinder versammelten sich, der Hof wurde voll. Am nachsten Tag kam auch der mittlere Bruder Ludwig mit Frau und 4 Kindern. Fast alle Kinder waren noch klein, keine Schuler, meine waren die gro?ten. (Ich war ja auch der Alteste, Lenhart war 12 Jahre junger als ich.) Hier mu? noch gesagt werden: Unser Vater ist in der Trudarmee am 1.8.1949 gestorben. Er war nur 50 Jahre alt. In der Sterbeurkunde (ich habe eine) stand geschrieben: 'Sterbeursache - Herzinfarkt (diese Diagnose stand bei allen, die erschossen wurden). -5- |