
Die Lebensgeschichte eines Menschen -
Haag Ivan
Iwan Haag ehemaliger politidcer Gefangene
opfer des grossen Terrors der Kolimisher kommunistischer Konzlager
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8 MEIN GEBET -7- Ich hatte selbst keine Verwandte in Deutschland, blo? Freunde. Angefreundet haben ich und Nina uns, dank der Partnerschaft unserer Gemeinde mit der Kirche aus Bemhausen, Region Stuttgart, mit mehreren Menschen. Bis heute haben wir gute Beziehungen mit vielen. Besonders mit Barbara Dallinger, die wir 'unsere Barbara' nennen. Auch Irine Feucht, Lidia Klein und noch viele andere. Dekan Kraft aus dem Kirchenbezirk Bemhausen kaufte unserer Gemeinde ein Bethaus. Solche Freunde vergi?t man nicht.
Schlie?lich gab ich mein 'Ja' zur Auswanderung. Jetzt begannen die Vorbereitungen. Manchmal war es schwer fur mich zu sehen, wie fast alles, was wir jahrelang fur unser Alter gesammelt hatten, verloren ging. Manches verkauften wir zu halben Preisen, manches verschenkten wir. Vieles bekam unsere Tochter Lora, die in der Ukraine blieb.
Am Sonntag, dem 2. August 1998 war meine Abschiedspredigt in der Gemeinde. Am 3. August reisten wir nach Deutschland.
Das Weitere wi?t Ihr ja alle selber. Ihr konnt spater mal diese Geschichte selbst weiterschreiben.
Auf eine weitere Frage bin ich Euch eine Antwort schuldig. Ich wurde ja noch in, hohem Alter Pastor. Hier mu?t ich manches erklaren: Nach unserer Ruckkehr nach Poltawa wurde ich dann von derselben KGB die mich verurteilt hatte, rehabilitiert, also das Gerichtsurteil wurde von mir genommen. Ich fand dann gutbezahlte Arbeit bei Inturist. Anfangs dachte ich, ich ware der einzige Deutsche in Poltawa. Dann erfuhr ich, da? in Poltawa mehr als 100 Deutsche lebten. Als in Poltawa der deutsche Friedhof eingeweiht wurde, kam eine Delegation aus Deutschland (Stuttgart wurde die Partnerstadt von Poltawa). Darunter war der Oberburgermeister von Stuttgart, Herr Koch, ein General aus Amerika und auch ein Pastor, Bischof Sorge. Ich horte zum ersten Mal nach fast 80 Jahren wieder einen Pastor in deutsch predigen. Das machte einen gro?en Eindruck auf mich. Ich erinnerte mich an unsere Kirche, an mseren Pastor und an meine Mutter, die mich, solange ich bei ihr war, nie ins Bett lie? ohne da? ich betete. (Damals nahm ich das nicht ernst, war bestrebt, das Vaterunser schnell herzusagen um ins Bett zu kommen.) Auch dachte ich an viele Ereignisse meines Lebens. Oft war ich in Situationen, in denen es um Leben und Tod ging. Wie durch ein Wunder wurde ich immer gerettet. War es nicht Gottes Willen, da? ich immer cavonkam? Oder blo? ein Zufall? Daruber dachte ich ofters nach. Dann kam alles wie von selbst. Nach der Predigt damals auf dem Friedhof Aar ein Treffen mit der deutschen Delegation. Bischof Sorge fragte: "Wer mochte den Leuten die Bibel vorlesen?" Ich sagte: "Ich kann das." Er schenkte mir eine Bibel. So entstand bei uns eine 'religiose Gruppe' und ich wurde ihr Leiter.
Anfangs hatten wir gro?e Schwierigkeiten. Ich selber hatte damals wenig Vorstellung von der Bibel, wu?te meist selbst nicht, was das was ich vorlas bedeutete. Aber ich mochte Euch sagen:
Aus dieser unsicheren religiosen Gruppe wurde nach ein paar Jahren eine stabile deutsche evangelisch-lutherische Gemeinde mit eigenem Bethaus, mit Klavier, mit ausgebildeter Chorleiterin. Ich war ihr Pastor. Das ereignete sich so:
Die Bayerische Kirche organisierte in Odessa ein Predigtseminar zur Ausbildung von Predigern fur solch religiose Gruppen wie unsere, die es damals schon in vielen Stadten gab. Ich bekam von,'Pastor Kimger aus Nurnberg, er war der Leiter des Seminars, eine Einladung das Seminar zu besuchen. In meinem Alter, ich war damals schon 78 Jahre alt, dachte ich nicht, noch Pastor zu werden, aber ich willigte ein, fur ein Jahr das Seminar zu besuchen, um meine eigenen Bibelkenntnisse zu verbessern. So kam ich nach Odessa. Aber alles lief anders, als ich anfangs dachte. Unter uns 15 Zuhorern waren nur zwei, die deutsch und russisch sprachen. Unsere Lektoren waren Deutsche, verstanden kein russisch. So wurden wir zwei die Ubersetzer. Vormittag Einer, Nachmittag der Andere.
Fur mich war das sehr anstrengend, aber auch nutzlich. So verging das erste Jahr. (Das Seminar dauerte nur 3 Monate im Jahr, die andere Zeit waren wir in den Gemeinden. Dann bat Klinger, ich solle auch weitermachen. Ich hatte schon selbst Interesse am Seminar bekommen. So vergingen auch die letzten beiden Jahre. Es war sehr anstrengend, besonders fur mich als Dolmetscher. Es ging manchmal von 8 Uhr fruh bis 20 Uhr abends.
Im August 1994 wurden wir in Odessa bei einem Gottesdienst als Prediger eingesegnet. Nach drei Jahren praktischer Arbeit wurde ich am 20.8.1997 als Pastor eingesegnet, durfte Talar tragen, konnte taufen, trauen, beerdigen und das Abendmahl reichen. Mit Befriedigung kann ich Euch sagen: Auch hier hatte ich Erfolg, ich wurde von der Gemeinde anerkannt. Bei meinem letzten Besuch der Gemeinde am 15. Juli 2001 wurde ich so herzlich empfangen. Fur mich wurden die Lieder gesungen, die ich gerne hatte. Zu meinem Abschied am fruhen Morgen des 28. Juli war fast die ganze Gemeinde versammelt.
Und zum Schlu?: Ich wei?, ihr wollt etwas wissen uber meinen Glauben an Gott. Ich kam im Leben zur Uberzeugung: So einen Gott, wie ich ihn mir als Kind vorgestellt hatte, einen gro?en Mann mit Bart, gibt es naturlich nicht. (Obzwar Gott uns Menschen nach seinem Ebenbild schuf - so aus der Bibel.) Aber dennoch gibt es etwas fur uns Menschen unbegreifliches in der Natur, das unser Leben bestimmen kann. Dieses unbegreifliche, unsichtbare Wesen nennen wir Gott. Ich kam auch zur Uberzeugung, da? es fur jeden Menschen besser ist (also auch fur Euch), wenn man so ein Etwas, also diesen Gott hat, an den man sich wenden kann, besonders wenn wir nicht wissen, was tun, wenn wir in Not sind.
Ich selbst suchte in meinem Leben ofter Rat und Unterstutzung bei diesem unbegreiflichen hoheren Wesen, also bei meinem Gott. Ist das kein Wunder, da? ich in so vielen schweren Situationen glucklich davonkam, heute schon im 86. Lebensjahr bin? Kann ich das nicht Gott verdanken?
Und das letzte Beispiel: Nina lag schwer krank. Am 24. April waren ich und Irine bei ihr. Ich sah, wie sie litt. Sie stohnte. Sie konnte uns nichts sagen, hat uns wahrscheinlich gar nicht erkannt. Unwillkurlich kam mir der Gedanke: Herr Gott nimm sie doch lieber zu Dir. (Vielleicht dachte Irine auch so.) Nach zwei Stunden teilte uns der Arzt mit, da? es auch so geschah, sie starb.
Will Euch noch sagen: Eure Mutter und Gro?mutter konnte das Morgen- und Abendgebet von Martin Luther auswendig. Einmal als ich bei ihr war, es war ihr damals etwas besser, sagte sie zu mir: "Lese mir etwas aus der Bibel". Moge sie doch fur Euch ein Beispiel sein!
Bayreuth, den l. September 2001
Johann Haag
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